Einzelstudie 06:
Das Bundesverfassungsgericht versucht,
die uferlose Ausweitung der Europäischen Union zu stoppen
I.
Das Urteil zum Lissabonvertrag in fünf Leitabsätzen:
1.
Schieflage in der Konstruktion der europäischen Vereinigung
Die europäischen Vereinigung hat eine
auffällige Schieflage.
Einerseits nämlich haben die Nationen der EU
Kompetenzen übertragen,
die in einigen Politikbereichen
bereits wie in einem Bundesstaat ausgestaltet
sind (also staatsanalog).
Andererseits aber ist die EU kein
demokratischer Bundesstaat. Ihre internen
Entscheidungs- und Ernennungsverfahren sind
nämlich überwiegend nach dem
Muster einer internationalen Organisation
ausgestaltet (also völkerrechtsanalog).
2.
Stopp für schleichende Aushöhlung
Das Urteil stellt einen klaren Stopp für
diesen Weg auf.
Da die EU weiterhin einen völkerrechtlich
organisierten Herrschaftsverband
darstellt, muss sie auch dauerhaft vom
politischen Willen
souverän bleibender Staaten getragen werden. Die primäre Integrationsverantwortung
liegt also
weiterhin in der Hand der nationalen Verfassungsorgane,
die für die Völker
handeln. Wollen die Mitgliedstaaten die EU
mit wachsenden Kompetenzen
ausstatten und ihr eine
weitere Verselbständigung der Organe zugestehen,
geht dies demzufolge nur
auf der Basis begrenzter und kontrollierter
Einzelermächtigungen.
3.
Strukturelles, im Staatenverbund nicht auflösbares Demokratiedefizit
Das Europäische Parlament ist nicht dafür
gerüstet, einheitliche politische Leitentscheidungen zu treffen. Es ist -
gemessen an staatlichen
Demokratieanforderungen - weder
gleichheitsgerecht gewählt,
noch ist es innerhalb des supranationalen Interessenausgleichs
zwischen den Staaten
zu maßgeblichen politischen Leitentscheidungen berufen.
Es kann deshalb auch nicht eine
parlamentarische Regierung tragen und sich
im Regierungs-Oppositions-Schema
parteipolitisch so organisieren, dass eine Richtungsentscheidung europäischer Wähler
politisch bestimmend zur Wirkung
gelangen könnte.
Angesichts dieses strukturellen, im
Staatenverbund nicht auflösbaren
Demokratiedefizits dürfen weitere
Integrationsschritte über den bisherigen Stand
hinaus weder die politische
Gestaltungsfähigkeit der Staaten noch das Prinzip der
begrenzten Einzelermächtigung aushöhlen.
4.
Alternativen sind machbar,
erfordern jedoch die
Schöpfung einer gänzlich neuen Verfassung
Das Problem der schleichenden Aushöhlung der
demokratischen Kompetenzen
der Völker Europas ist folglich prinzipiell im
Rahmen der EU nicht lösbar.
Nicht fortgesetzt werden darf deswegen der
bisherige Weg der immer weiteren
Entleerung der demokratischen Kompetenzen
des deutschen Parlamentes, um sie
einer demokratiefernen EU zu übertragen.
Das Grundgesetz erlaubt es den besonderen
Organen der Gesetzgebung, der
vollziehenden Gewalt und Rechtsprechung
nicht, über die grundlegenden
Bestandteile der Verfassung, also über die
Verfassungsidentität zu verfügen.
Die alleinigen Träger der
verfassungsgebenden Gewalt sind nämlich die Völker der
Mitgliedstaaten. Und die
Verfassungsidentität ist unveräußerlicher Bestandteil der
demokratischen Selbstbestimmung eines
Volkes.
Aus dieser „Ewigkeitsgarantie“ folgt:
Solange im Rahmen einer europäischen
Bundesstaatsgründung nicht ein einheitliches
europäisches Volk als
Legitimationssubjekt seinen Mehrheitswillen
gleichheitsgerecht politisch wirksam
formulieren kann, bleiben die in den
Mitgliedstaaten verfassten Völker der EU die
maßgeblichen Träger der öffentlichen Gewalt,
einschließlich der Unionsgewalt.
Das BVerfG sagt aber klar, dass die Völker
Europas einen Bundesstaat
beschließen können,
wenn sie einen solchen wollen.
In Deutschland wäre für den Beitritt zu einem
europäischen Bundesstaat eine Verfassungsneuschöpfung notwendig, mit
der ein erklärter Verzicht auf die vom
Grundgesetz gesicherte souveräne
Staatlichkeit einherginge.
5.
Verschlafen deutsche Demokraten ihre Rechte?
Das BVerfG hat ein Begleitgesetz für
verfassungswidrig erklärt. Dies ist als „deftige Ohrfeige“ für den Bundestag
gewertet worden.
Mit Erschrecken müssen die Bürger zur
Kenntnis nehmen, dass
ihre Legislative die Abschaffung der
Demokratie in Deutschland über den
europäischen Umweg passiv hinnimmt.
Erschreckender aber noch ist, dass ihre
Exekutive diesen Abbau aktiv voran treibt. Deswegen musste nun die Judikative
die Rolle des letzten Bollwerks übernehmen.
FAZIT:
MacroAnalyst
hat nach der Europawahl festgehalten, dass
in den nächsten
fünf Jahren die Entwicklung einer kritischen Bürgerbewegung
gefragt sei,
die den Parteien eine Lektion in Demokratie erteilen müsse.
Einen eindrucksvollen Auftakt hierzu hat das
Bundesverfassungsgericht nun mit
seinem Urteil zum Lissabon-Vertrag gegeben.
Dieses Urteil wird als das bedeutsamste
Verfassungsurteil der letzten 50 Jahre in
die Justizgeschichte eingehen.
Quelle:
MacroAnalyst.de
14.
Juli 2009