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Dimension 1:
Einwanderung und Arbeitsmarkt

Soweit ökonomische Analysen der Einwanderung vorgelegt werden, stellen diese häufig den Einfluss von Einwanderung auf
die primäre Einkommenserzielung (--> Arbeitsmarkt --> Sozialprodukt) sowie auf
die sekundäre Einkommensumverteilung (Staatshaushalt, Systeme der sozialen Sicherung) heraus.

In aller Regel wird die These in den Vordergrund gerückt, dass Einwanderer  zum Bruttosozialprodukt beitragen und damit auch - vor allem wenn es sich um junge Einwanderer handelt - die Sozialsysteme, und hier gerade die Rentensysteme, stabilisieren.

(A)   Eine hollländische Regierungsstudie

Eine holländische Studie  kommt zu einem ganz anderen Ergebnis. Der SPIEGEL (Nr. 31/2003, S. 88) hat den von uns als Dimension 1 abgegrenzten Teil verdienstvollerweise zusammengefasst.
 

(I)   Zum Aspekt Arbeitsmarkt und Einkommenserzielung:

"Schlecht ausgebildete Einwanderer schadeten der einheimischen Bevölkerung eher, da sie zu scharfer Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt werden können. Unternehmer würden zwar kurzfristig von den niedrigeren Löhnen für die Zuwanderer profitieren, insgesamt führe der Verdrängungswettbewerb jedoch zu Nachteilen für die angestammte Bevölkerung".
 

(2)   Zum Aspekt der Belastung von Staatshaushalt und Sozialversicherung:

"Das Centraal Planbureau bewertet in einer 122-seitige Expertise  Einwanderer unter dem Gesichtpunkt von Kosten und Nutzen. Dabei kommt es zu dem Ergebnis, dass ihre Sozialbilanz, anders als bisher angenommen, unterm Strich negativ ausfalle. Ein massenhafter Zuzug von gering qualifizierten Arbeitern bringe eher Nachteile für die Steuer- und Sozialsysteme".

"Für den Staatshaushalt würden die Immigranten auch deshalb mehr Last als Gewinn bedeuten, weil sie in den Niederlanden wegen der einkommensunabhängigen Grundrenten nicht so lange am Arbeitsleben teilnehmen müssten wie in anderen EU-Ländern. Ihre Erwerbsbiografie sei in der Regel wesentlich kürzer, außerdem steige die Belastung der Wohlfahrtssysteme, je mehr Zuwanderer von landesüblichen Leistungsmustern abwichen. Die Forscher stellen für verschiedenen Immigrantengruppen in den Niederlanden die mutmaßlichen lebenslangen Steuerzahlungen den geschätzten durchschnittlichen Sozialbezügen während desselben Zeitraums gegenüber - Wohnbeihilfen, Ausbildungszuschüsse, Gesundheitskosten und Erwerbsfähigkeitsrenten."

"In EU-Ländern mit hohem Wohlfahrtsniveau entnähmen Migranten während ihres Lebens mehr aus der Staatskasse, als sie einzahlten".

 

(B)   Einwanderung und deutscher Arbeitsmarkt

Die ökonomischen Wirkungen einer ungesteuerten Zuwanderung sind komplex. Wir wollen uns auf die Auswirkungen für den deutschen Arbeitsmarkt konzentrieren.
Dabei sollen zunächst die fundamentalen Trendlinien der letzten 30 Jahre berechnet werden. Diese wollen wir dann zur Grundlage einer Vorausberechnung für die nächsten 50 Jahre machen.

 

(I)  Grundlegende Bestimmungsfaktoren des Arbeitsmarktes

Die Entwicklungen am Arbeitsmarkt werden von Angebot und Nachfrage bestimmt.

(1)   Die Nachfrage nach Arbeit
ergibt sich im wesentlichen aus zwei Faktoren:

Nachfragefaktor 1: Die Produktion.
Die Produktion des Inlandsproduktes wirkt sich positiv auf die Nachfrage nach Arbeit aus. Gemessen wird dieser Einflussfaktor an der Entwicklung des realen Brutto-Inlandsprodukts (BIP).

Nachfragefaktor 2: Die Produktivitätsentwicklung.
Sie gehört zu den Schlüsselgrößen für jegliche Art der Arbeitsmarktvorausberechnung. Ihre Bedeutung wird hierzulande oft vernachlässigt, weil offensichtlich falsch eingeschätzt (so zuletzt die Rürup-Kommission - vgl. Komplikation: Verlängerung der Arbeitszeit, weiter unten).
Häufig herrscht eine statische Produktivitätsauffassung vor. Dieser zufolge gilt Produktivität lediglich als ein "Bruch", in dessen Zähler der Output und in dessen Nenner der Input steht. An dieser statischen Abgrenzung ist soviel richtig, dass eine Steigerung der Produktivität, trifft sie auf begrenztes Wachstum der Produktion, zu einem Abbau des volkswirtschaftlichen Arbeitsvolumens führt. Jeder Überschuss von Wachstum der Produktivität im Vergleich zum Wachstum des Inlandsprodukts hat also in der Vergangenheit (ex post) zwangsläufig eine Verringerung der insgesamt zu leistenden volkswirtschaftlichen  Beschäftigungsstunden (= Arbeitsvolumen) nach sich gezogen.

(Die dynamische Dimension der Produktivität werden wir unten bei der Vorausberechnung der Trendverläufe am Arbeitsmarkt berücksichtigen).

(2)   Als Angebot von Arbeit
werden von der amtlichen Statistik lediglich die gemeldeten Erwerbstätigen und Arbeitslosen (= Erwerbspersonen) ausgewiesen. Es existieren darüber hinaus jedoch Personen, die eine Arbeit aufnähmen, würde sie nur angeboten. Deren Zahl bezeichnet das Forschungsinstitut der Bundesanstalt für Arbeit (IAB) als "Stille Reserve". Etwas weiter gefasst steht dem Arbeitsmarkt also an Angebot zur Verfügung:
Erwerbstätige + Arbeitslose + Stille Reserve  (= Erwerbspersonenpotenzial).
Das Gesamtangebot ergibt sich schließlich durch Multiplikation dieser Anzahl von Personen mit der durchschnittlichen Arbeitszeit.
 

Die "Stille Reserve" - als Begriff der Vergangenheit - ist allerdings nicht mehr zeitgemäß.
Dynamisiert man die Betrachtung, so kommen weitere Teile der Bevölkerung in das Blickfeld,  z.B. Personen, die wegen der relativ großzügigen Arbeitsmarktregulierung heute noch eine Arbeit erst gar nicht aufnehmen, der sie morgen - nach Umsetzung einer Reihe von Arbeitsmarktreformen - jedoch nachgehen werden müssen.
Globalisiert man die Betrachtung, so stehen unter heutigen Bedingungen Millionen und Abermillionen von Zuwanderern in aller Welt bereit, ihre Arbeitskraft auf dem deutschen Markt anzubieten.

 

(II)   Welche Trends zeigt der Arbeitsmarkt der letzten 30 Jahre?

(1)   Fundamentale Trendlinien

Wir destillieren nun die fundamentalen Trendlinien für die Entwicklung des Arbeitsmarkts von 1970 bis 2002 heraus. Wegen des mit der Wiedervereinigung einhergegangenen Bruchs in den statistischen Reihen unterteilen wir zunächst in die Zeiträume von
1970 - 90 = vergleichbare Entwicklung im früheren Bundesgebiet  und
1991 - 02 = vergleichbare Entwicklung in Gesamtdeutschland.                                

 

Tabelle
Produktivitätsüberschüsse 1970 - 2002

Langfristige Trendwerte

Mittlere Wachstumsraten p. a. in %
 

    1970 - 1990 1991 - 2002
+ Inlandsprodukt 2,5 1,3
- Produktivität 3,1 1,9
= BeschäftigungsStd. -0,6 -0,6
reales Bruttoinlandsprodukt (BIP)
Produktivität    =  BIP je geleisteter Beschäftigungsstunde  (volkswirtschaftl. Arbeitsvolumen)
Beschäftigungsstunden  =  mittlere effektive Jahresarbeitszeit pro Erwerbstätigen multipliziert mit Zahl der Erwerbstätigen, also alle geleisteten Arbeitsstunden (volkswirtschaftl. Arbeitsvolumen)

Quelle: StatBuA; Fachserie 18 (vowi. Ges.Rechnungen);    eigene Berechungen MacroAnalyst                 
       

Die Tabelle zeigt drei Trends:
Erstens hat sich das  Wachstum des Inlandsprodukts sowie der Produktivität zwischen den beiden Perioden deutlich verlangsamt.
Zweitens ist die Produktivität in beiden Zeiträumen auffallend stärker angestiegen als die gesamtwirtschaftliche Produktion. Die Produktivitätsüberschüsse machten jeweils + 0,6 Prozent aus.
Drittens konnte wegen dieser Überschüsse das Inlandsprodukt Jahr für Jahr mit immer weniger Arbeitsaufwand hergestellt werden. Der für die Produktion notwendige Arbeitsaufwand konnte über 32 Jahre hinweg (!) um 0,6 % pro Jahr reduziert werden.
Dies ist ein Befund von großer Tragweite.

(Dass sich dieser Verlust an Arbeitsvolumen nicht parallel in einer Reduktion von Erwerbstätigen niederschlug, lag allein am gleichzeitigen Rückgang der Arbeitszeit pro Beschäftigten. Wurden 1970 noch 1.956 Stunden pro Jahr und Beschäftigten geleistet, waren es 2002 - trotz insgesamt immens angestiegener Wirtschaftsleistung - nur noch 1.443 Std. In die Reduzierung der Arbeitszeit werden dabei auch die Effekte aus der gestiegenen Teilzeit eingerechnet: Wird eine Vollstelle in zwei Halbstellen aufgeteilt, geht die Arbeitszeit pro Kopf zurück. Das IAB hat in Zusammenarbeit mit dem Stat. Bundesamt angekündigt, dass eine neuere Zurückrechnung der Entwicklung veröffentlicht werden soll. MacroAnalyst wird dies – soweit sich Änderungen ergeben sollten – in die hier analysierten Trends einrechnen).

>> aktualisierte Grafik mit den Werten für 1970 - 2004

 

(2)   Eine Generation Zuwanderung und die Folgen für den Arbeitsmarkt

Obwohl für das ständig steigende Inlandsprodukt wegen der parallel laufenden Effizienzgewinne Jahr für Jahr im Trend gut ein halbes Prozent weniger Arbeitsstunden aufzuwenden waren, fand eine massive Einwanderung statt. Wie hat diese Einwanderung den Arbeitsmarkt verändert? Welcher Beschäftigungsbeitrag wurde durch Zuwanderer geleistet?

Zwei Trends seien zur Beantwortung dieser Frage herausgestellt.
 

Trend 1: Zuwanderung und Bevölkerungsentwicklung

Zuwanderung hat die Struktur der Bevölkerung spürbar verändert. Sie begann in den 60er Jahren zunächst in kleinen Zahlen (Ausländeranteil 1961 = 1,2 %), nahm dann aber ab den 70er Jahren deutlich zu.

Tabelle
Anteil der Ausländer an der Bevölkerung wächst schnell
 

Bevölkerung

Ausländer

Ausländer

in Mio

in Mio Anteil an Bev. in %

1970

60,6

2,6

4,3

1980

61,7

4,5

7,2

1990

63,7

5,3

8,4

1991

80,3

5,9

7,3

2003

82,5

7,3

8,9


Bevölkerung bis 1990 = früheres Bundesgebiet; ab 1991 = D

Personen mit doppelter Staatsangehörigkeit werden nicht unter "Ausländer" erfasst

Quelle: Statistisches Bundesamt
 

Die Tabelle zeigt einen anschwellenden Bestand an Ausländern;
(
>>Grafik zum Wachstum der ausländischen Bevölkerung 1970 - 2002).

Lag der Anteil der Ausländer an der Gesamtbevölkerung 1970 noch bei 4,3 % (= 2,6 Millionen), so machte er 2002 (mit 7,3 Mio.) bereits 8, 9 % aus. Der vorübergehende Abwärtsknick in 1991 war Resultat der großen Zunahme des Nenners durch die Wiedervereinigung (+ 16,6 Mio).  Um so bemerkenswerter ist der Wiederanstieg des Ausländeranteils in nur 11 Jahren auf 8,9 %.

 

Trend 2: Zuwanderung und Arbeitslosigkeit

Dieser Zustrom an Zuwanderern traf auf einen Arbeitsmarkt, auf dem Jahr für Jahr alle Nachfrager nach Arbeit (vor allem Unternehmen) 0,6 % der insgesamt zu leistenden Beschäftigungsstunden weniger benötigten. In dieser Größenordnung übertrafen ihre Produktivitätsgewinne das Wirtschaftswachstum. Volkswirtschaftlich gesehen bewirkten die Zuwanderer deswegen nichts anderes als eine weitere Aufstockung der bereits vorhandenen Überkapazität an Arbeit. Die Leistung der türkischen Änderungsschneiderin, des Betreibers eines Döner-Kebab-Imbissstandes, die neue Arbeitsplätze schaffen - und diese auch selbst besetzen - ist hier durchaus als Ausnahme zu würdigen. Aber an diesen großvolumigen Trends hat sie nichts geändert.


Drei Lösungsmöglichkeiten gibt es in dieser Konstellation:
Entweder der Zuwanderer hat keine Chance, überhaupt in den Arbeitsmarkt hineinzukommen, er bleibt dauerhaft ohne Beschäftigung;
oder er gerät über kurz oder lang in das Heer der Arbeitslosen;
oder die zusätzliche Arbeitsleistung des Zugewanderten verdrängt einen angestammten Beschäftigten. 

Die Statistik belegt auch diese Optionen.

 

Tabelle:
Beschäftigungsgrad der Ausländer
 

 

Ausländische Bevölkerung davon
15 J.u.m.
Ausländische Beschäftigte Ausländer - Beschäftig.Grad

1970

2.737.900

2.221.300

1.838.900

82,8 %

1980

4.566.200

3.311.200

1.925.600

58,2 %

1990

5.582.400

4.358.200

1.793.400

41,2 %

2000

7.267.600

5.914.500

1.974.000

33,4 %


Quelle: Destatis; BA; Integrationsbeauftragte der BuReg.; eig. Berechnungen

Ausld. Bevölkerung lt. Bev.Fortschreibung
Beschäftigungsgrad = Ausld. sozialversicherungspflichtige Beschäftigte bezogen auf ausld. Bevölkerung über 15 Jahre
Bis 1990 früheres Bundesgebiet
 

>>Grafik zum sinkenden Beschäftigungsgrad von Ausländern

Die Tabelle und die Grafik zeigen, dass mit einem starken Zuwachs an ausländischer Bevölkerung ein nur moderater Zuwachs an ausländischen Beschäftigten einherging. Bezieht man die Beschäftigten - wie üblich - nur auf das korrespondierende Segment der ausländischen arbeitsfähigen Bevölkerung (über 15 Jahre), dann erhält man den Beschäftigungsgrad. Dieser weist also aus, welcher Prozentsatz der insgesamt Zugewanderten überhaupt aktiv Arbeit aufgenommen hat.

Der Rückgang ist eklatant: Gingen 1970 noch 83 % der Ausländer einer Beschäftigung nach, so taten dies 2000 nur noch 33 %. Das hat nicht nur mit Arbeitslosigkeit zu tun, aber eben doch auch. Vor allem legt die 5. Spalte einen enormen Strukturwandel offen. Rief man ursprünglich nur Arbeiter, die zum deutschen Sozialprodukt beitragen sollten, und dies suggeriert der Zuwanderungs-Hype noch heute, so kamen schließlich im wachsenden Maße ganze Familien. Inwiefern der Zuwanderer demzufolge noch zur Lösung der sozialen Probleme der Inländer beitragen könnte, vorausgesetzt, der Arbeitsmarkt würde überhaupt dieses zusätzliche Angebot nachfragen, erscheint als offen. Zeigen tut sich in dieser Entwicklung aber klar, dass die Etikettierung, "Deutschland ist kein Einwanderungsland", eine Täuschung war. Deutschland ist seit den 60er Jahren Zuwanderungsland.

Dass der Rückgang des Beschäftigungsgrades auch Folge der spezifischen Arbeitslosigkeit der ausländischen Bevölkerung war, zeigt die Statistik ebenfalls. Eine hohe Zahl derjenigen Ausländer, denen es gelang, in den Arbeitsmarkt hinein zu kommen, wurde wieder arbeitslos.

Der Anteil der arbeitslosen Ausländer liegt seit Jahrzehnten signifikant oberhalb des Anteils der arbeitslosen Inländer. Zuletzt waren 20,4 % der ausländischen Erwerbspersonen arbeitslos (Mai 03). Das ging weit über die korrespondierende Zahl für die Inländer hinaus (11,5 %) (bezogen ist dieser Anteil auf die abhängigen Erwerbspersonen, da dieser die Kerngröße für die ausländischen Beschäftigten darstellt). Wie die Bundesanstalt für Arbeit ausweist, betrugen die Spitzenwerte gar 41,1 % für Sachsen und 39,2 % für Sachsen-Anhalt + Thüringen.

(Besonders zu berücksichtigen ist bei dieser Messung die Definition der ausländischen Arbeitslosigkeit: Als arbeitlose Ausländer gelten nur diejenigen nichtdeutschen Arbeitssuchenden (Ausländer, Staatenlose und Personen mit ungeklärter Staatsangehörigkeit), die eine Arbeitnehmertätigkeit in der Bundesrepublik Deutschland ausüben dürfen (!). Ohne diese rechtliche Beschränkung läge die Stille Reserve in diesem Segment noch höher.

Abschließend ist ein erster Blick auf die Altersstruktur der ausländischen Bevölkerung durchaus von Interesse. Das Image der ersten Gastarbeitereinwanderer war "jung", "männlich", "zupackend". Tatsächlich beginnt sich auch die Altersstruktur der Ausländer schon in der ersten Generation auffällig zu ändern. Die Entwicklung der Altersrelationen seit 1980 zeigen zwei Ergebnisse:

Erstens hat sich der Anteil der Kinder (0 - 15 Jahre) an der Gesamtzahl der Ausländer von 27 auf 18 % verringert; zweitens hat sich jedoch gleichzeitig der Anteil der Älteren (60 u. m. Jahre) mehr als verdoppelt, von 4 auf 9 %. Unabhängig davon, was sich zur Erklärung dieser Entwicklung heranziehen lässt, es bleibt: Auch diese Struktur ist belastender geworden.

>>Grafik zur Alterung der Ausländer

 

(3)   Die Ergebnisse der letzten 30 Jahre

Überaus klar ist das Ergebnis der Entwicklung des Arbeitsmarktes in den letzten 30 Jahren, wenn man diese auf der Basis empirischer Fakten durchleuchtet.

(o)   Schon 1970 waren Überkapazitäten am Arbeitsmarkt vorhanden. Noch war die Arbeitslosigkeit - gemessen am heutigen Niveau - gering, aber sie existierte.

(o)   Von 1970 bis heute wurden dann technische und organisatorische Leistungen voran getrieben, die die Unternehmen immer effizienter machten. Produktivitätssteigerungen traten ein, die das gleichzeitig nachlassende Wachstum des Inlandsprodukts spürbar übertrafen. Die Folge: Die Nachfrage nach Arbeit schrumpfte - im Trend wurden Jahr für Jahr 0,6 Prozent weniger Beschäftigungsstunden benötigt.

(o)   Gleichzeitig wurde Deutschland zum Zuwanderungsland. Ausländer wanderten zu Millionen ein. Da sie auf einen ohnehin schrumpfenden Arbeitsmarkt stießen, fanden eine immer größer werdende Zahl von ihnen keine Arbeit. Ihr Beschäftigungsgrad sank, ihre Arbeitslosenquote stieg. Auch die Ausländerbevölkerung unterlief einem Alterungsprozess. In der Konkurrenz um die ständig weniger werdenden Arbeitsplätze wurden auch Inländer verdrängt. Die Arbeitslosigkeit schwoll beträchtlich an. Eine noch größere Katastrophe blieb nur deshalb aus, weil parallel zum sinkenden Arbeitsvolumen die Arbeitszeit in großem Ausmaß zurückging. 

(o)   Am Ende dieses Zeitraumes sind wir nunmehr mit stark angestiegenen Überkapazitäten konfrontiert.

Überkapazität: Die Hohe Arbeitslosigkeit
Die erste ungenutzte Reserve stellt die hohe Arbeitslosigkeit dar.
In Deutschland hat sich seit 30 Jahren eine Arbeitslosigkeit aufgebaut, die im Durchschnitt 2002 bei 4,1 Millionen lag (2003 etwa 4,5 Millionen). D. h. inzwischen wird die Arbeitskapazität von über 10 % der Erwerbsbevölkerung (Arbeitslosenquote im Aug. 03 = 10,4 %) nicht mehr genutzt. Auch wenn es in einzelnen Segmenten mit hohen Qualifikationsanforderungen Engpässe gibt, ist insgesamt ein Überangebot an Anbietern von Arbeit vorhanden. Seit drei Jahrzehnten wird der Versuch gemacht, diese Arbeitslosen wieder in die Erwerbstätigkeit zurückzuführen. Trotz aller Anstrengungen ist die Beschäftigungslosigkeit jedoch ständig weiter angestiegen, sie hat sich strukturell verfestigt, wie die Zahl von 2,6 Mio. Langzeitarbeitslosen zeigt.

Überkapazität: Die sog. Stille Reserve
Für 2002 hat das IAB diese Überkapazität mit 2,5 Mio berechnet. Zu den Arbeitslosen hinzugerechnet, steht tatsächlich eine nationale Überkapazität an Arbeitskräften in Höhe von insgesamt 6,6 Millionen bereit, neu geschaffene Arbeitsplätze auch zu besetzen.

Dass diese "Stille Reserve" vorsichtig geschätzt ist, erhärtet ein kurzer Blick auf das Maß an Erwerbstätigkeit in anderen bedeutenden Volkwirtschaften. Die USA weisen seit langem eine höhere Erwerbstätigkeit auf. Die Anteil der erwerbstätigen Bevölkerung liegt um fast 10 Prozentpunkte höher als in Deutschland. (Erwerbsquote, gemessen als Anteil der Erwerbspersonen an der Bevölkerung über 15 Jahre,   = 67,2 gegen 57,5 % in D).

Die nachstehende Tabelle fasst die schon vorhandenen erheblichen Überkapazitäten an Arbeitskräften in Deutschland zusammen.

 

Tabelle:
Vorhandene Überkapazität an Arbeitskräften
(2002 in Millionen)
 
   Erwerbstätige    38,7
+  Arbeitslose      4,1
+  Stille Reserve      2,5
= Erwerbspersonenpotential     45,3
   Überkapazität am Arbeitsmarkt
( = Arbeitslose + Stille Reserve)
      6,6
Quelle: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB)
 


6,6 Mio. Personen stehen also schon jetzt zur Verfügung,  bzw. lassen sich zügig mobilisieren, neue Arbeitsplätze zu besetzen.

Hier liegt eine erste Ressource im eigenen Land, die bei entsprechenden Arbeitsmarktreformen (Druck, angebotene Arbeit auch anzunehmen) auf Jahre hinaus jeden Bedarf nach niedrig qualifizierten Beschäftigten abzudecken in der Lage ist.

Dem Leser sei eine erste Abschätzung überlassen, wie lange es wohl dauern wird, bis zusätzliche neue Arbeitsplätze in dieser Größenordnung geschaffen werden - 10, 20, 30 Jahre? 

 

(III)   Vorausberechnung des Arbeitsmarkts nächste 50 Jahre

(1)   Das Modell und die Annahmen

Haben die in Deutschland heute bereits vorhandenen Beschäftigungsreserven nun einen Höhepunkt erreicht, weil die demographischen Faktoren das Schrumpfen der Bevölkerung vorhersehen lassen?  Wird dieser Bevölkerungsrückgang zwangsläufig den Rückgang des Potentials nach sich ziehen, das Arbeitskraft am Arbeitsmarkt anbietet? Ist Deutschland deshalb auf den Import von Arbeitskräften angewiesen, um diese sich abzeichnende Lücke zu schließen?

Diese Fragen sollen in diesem Abschnitt beantwortet werden. Dazu gilt es, die Entwicklung dieses Marktes langfristig voraus zu berechnen. Dies ist ungleich schwieriger als die Vorausberechnung der Bevölkerung, da wir es hierbei mit volatileren und wesentlich komplexeren Entwicklungsverläufen zu tun haben.
Diese Schwierigkeiten dürfen uns aber nicht davon abhalten, eine Einschätzung des künftigen Arbeitsmarkts zu versuchen. Wir gehen methodisch analog zur Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes vor.

Prognosen sind demzufolge über einen solch langen Zeitraum mit so großen Unsicherheiten behaftet, dass sie seriös nicht machbar sind. Es geht deshalb nicht um Prognosen, sondern um vorausberechnete Entwicklungslinien. Es geht also darum, die wichtigsten Annahmen für die künftige Entwicklung des Arbeitsmarktes in ein Szenario einzugeben und den Computer die sich daraus ergebenden Verläufe berechnen zu lassen.

Entscheidend ist die Plausibilität dieser Annahmen. Wir gliedern deshalb diese Vorausberechnung in zwei Schritte:
Im ersten Schritt sind bereits die Bestimmungsgründe der Arbeitsmarktentwicklung aus den empirischen Verläufen der Vergangenheit extrahiert worden.
Im zweiten Schritt werden die so gewonnenen empirischen Trendfaktoren zur Einschätzung der Verläufe in der Zukunft herangezogen.
Dies ist der entscheidende Punkt unseres Vorgehens: Unsere Annahmen basieren auf der Auswertung der Empirie, sie stützen sich auf Fakten. Unsere Annahmen sind weder optimistisch noch pessimistisch, sie  sind vielmehr empirisch begründet. Daraus gewinnen wir die Güte unseres Szenarios.

 

(2)   Die Trendverläufe bei der Nachfrage nach Arbeit

Auf der Basis der Trendverläufe von 1991 bis 2002 errechnet sich die folgende Entwicklung der  Nachfrageblöcke für 2002 - 2050:

Tabelle:
Vorausberechnung der Nachfrage nach Arbeit bis 2050 -            das Inlandsprodukt
 
  2002 2050 Wachstum
mittlerer Wert in % p.a.
BIP
in Mrd. €
1.984,3 3.688,6 1,3
BIP =  reales Bruttoinlandsprodukt

Quelle: StatBuA; ESVG; eig. Berechungen
 

 

(o)   Für das reale Inlandsprodukt erscheint die Steigerungsrate von 1970 - 90 (mit 2,5 % p.a.) für die Zukunft als zu hoch. Strukturell sind die Wachstumsraten des Inlandsprodukts seit 1950 gesunken. Mit jedem weiteren Wachstum wird ein höheres Ausgangsniveau erreicht und folglich zusätzliches Wachstum noch schwieriger. Deswegen ist eine jährliche Wachstumsrate von 1,3 % plausibler. Das Inlandsprodukt wächst dann immerhin noch von 1.984 Mrd. € auf 3.689 Mrd. € . Der Index steigt von 100 auf 186, damit liegt dieses Sozialprodukt satte 86 % höher als heute.

 

 

Tabelle:
Vorausberechnung der Nachfrage nach Arbeit bis 2050 - Produktivität
 
  2002 2050 Wachstum
mittlerer Wert in % p.a.
BIP
in Mrd. €
1.984,3 3.688,6 1,3
Produktivität 
€ in Std.
35,5 87,6 1,9

BIP =  reales Bruttoinlandsprodukt
Produktivität    =  BIP je geleisteter Beschäftigungsstunde 

Quelle: StatBuA; ESVG; MacroAnalyst-Berechungen
 

 

(o)   Für die Produktivitätsentwicklung setzen wir ebenfalls nicht die höheren Steigerungsraten von 1970 - 90 (mit 3,1 %) an. Wir legen vielmehr nur 1,9 % zugrunde. Die Produktivität wächst selbst dann von 35,5 € je Erwerbstätigenstunde auf 87,6 €/Std. Der Index steigt von 100 auf 247, damit liegt das Produktivitätsniveau 147 % höher als heute.

Eine wichtige Differenzierung soll in diesem Zusammenhang angesprochen werden. Die Produktivität gehört zu den Schlüsselgrößen für jegliche Art der Arbeitsmarktvorausberechnung. Ihre Bedeutung wird hierzulande oft vernachlässigt, weil offensichtlich unterschätzt (so zuletzt die Rürup-Kommission).

Das fängt an bei der Sichtweise dieses Phänomens:
Allzu oft trifft man auf eine statische Produktivitätsauffassung (gesehen wird lediglich der arbeitssparende Effekt). Dieser zufolge gilt Produktivität lediglich als ein "Bruch", in dessen Zähler der Output und in dessen Nenner der Input steht - Punkt.
Entscheidend für die Arbeitsmarktvorausberechnung ist jedoch gleicherweise der dynamische Charakter der Produktivität (arbeitsschaffender Effekt). Dem zufolge ist Produktivität der Angebotsmotor wirtschaftlichen Wachstums. "Produktivität ist vor allem und zu allererst eine Geisteshaltung. Es ist eine positive Haltung zum Fortschritt, die gewollte dauernde Verbesserung dessen, was existiert (KAIZEN, MacA ). Es ist die Überzeugung, dazu fähig zu sein, es heute besser als gestern und weniger gut als morgen zu machen. ... Es ist die ständige  Anpassung des wirtschaftlichen Lebens an sich ändernde Bedingungen; es ist das dauernde Bemühen, neue Techniken und neue Methoden anzuwenden ...." (Japan Productivity Center). Es handelt sich also um die geballte Anstrengung, mit vorhandener Arbeit mehr (und höherwertigeres) Produktionsvolumen zu erzeugen.

Diese Anstrengung nun trägt einen arbeitsmarktpolitischen Januskopf:
Einerseits ist die Entfaltung von Produktivität (ex ante) Voraussetzung jeder anspruchsvollen Nachfrage nach Arbeit. Ohne Produktivität kein Export, kein Wachstum, lediglich einfache Arbeiten, ökonomisches Niveau der Dritten Welt.
Andererseits führt eine Steigerung der Produktivität, trifft sie auf begrenztes Wachstum der Produktion, zu einem Abbau des volkswirtschaftlichen Arbeitsvolumens. Bei aller dynamischen Beschäftigungsschöpfung für die Zukunft gilt doch eindeutig: Jeder dauerhafte Überschuss von Wachstum der Produktivität im Vergleich zum Wachstum des Sozialprodukts zieht zwangsläufig eine Verringerung der insgesamt zu leistenden volkswirtschaftlichen  Beschäftigungsstunden (= Arbeitsvolumen) nach sich.

Wir haben uns für eine vorsichtige Einschätzung des künftigen Produktivitätswachstums entschieden, weil  Überdramatisierungen überflüssig sind. Die Aussichten sind ohnehin - wie die Vorausberechnungen gleich zeigen werden - dramatisch genug. Eine höhere Veranschlagung der Produktivitätsraten in der Zukunft wäre aber durchaus gerechtfertigt. Die großen Produktivitätssteigerungen in der Industrie halten nun schon über zwei Jahrzehnte an, sind aber noch keineswegs ausgelaufen. Hinzu kommt jetzt der Bau der digitalen Ökonomie, "die weit effizienter und produktiver ist als heute" (Irving Wladawsky-Berger, IBM). Vor allem wird die Digitalisierung und Vernetzung den gesamten Dienstleistungssektor umbauen, der in der Vergangenheit eher verschont blieb, heute jedoch das größte Gewicht am Arbeitsmarkt hat.

 

Kasten

Produktivität wird stärker den Dienstleistungssektor erfassen

"Die durch den Wettbewerb unabdingbare Effizienzsteigerung durch IT führt in den nächsten Jahren zu einer deutlichen Senkung von Arbeitsprozesskosten - die Banken geben bis zu 40 Prozent an - aber auch zum massiven Abbau von Arbeitsplätzen in allen Bereichen geistiger Routinearbeit.

Dieser internationale Prozess wird in Deutschland zu einer Erhöhung der Arbeitslosigkeit um mindestens eine weitere Million führen.

Die Lösung der bevorstehenden Probleme wird weder durch Wachstum noch durch Rezepte der Vergangenheit möglich sein".
 

Alfons Rissberger, Vorstandsmitglied der Initiative D21;  FAZ, 11. 3. 03

 

(o)   Im Falle des Arbeitsvolumens fällt die Bestimmung des Trendfaktors leichter. Obwohl beim Wachstum des Inlandsprodukts als auch bei dem der Produktivität Niveauverschiebungen stattgefunden haben, hat sich Ausmaß und Richtung dieser Verschiebung in die gleiche Richtung entwickelt. Über 20 Jahre hinweg ist der Trendwert der  Produktivität im früheren Bundesgebiet jedes Jahr um gut ein halbes Prozent stärker gestiegen als das Inlandsprodukt. Die Folge dieses Produktivitätsüberschusses: Jedes Jahr fielen 0,6 % der volkswirtschaftlich zu leistenden Beschäftigungsstunden weg.
 

Dieser Trend hat sich in Gesamt-Deutschland in den neunziger Jahre fortgesetzt: Der Produktivitäts-Überschuss blieb mit 0,6 % unverändert.

Die Tragweite dieses Befundes zeigt sich nun unverhüllt:  Der Wegfall von 0,6 % der Beschäftigungsstunden Jahr für Jahr verringert das Arbeitsvolumen von 55,9 Mrd. Std. auf 41,9 Mrd. Std. pro Jahr. Der Index sinkt von heute 100 auf 74,9 in 2050. Damit fällt in diesem Zeitraum ein Gesamtvolumen von 25,1 % aller Arbeitsstunden fort.

>>Grafik zum Verlauf der Nachfrageblöcke über gesamte Zeit hinweg

 

Tabelle:
Vorausberechnung der Nachfrage nach Arbeit bis 2050 -
alle Nachfrageblöcke
  2002 2050 Wachstum
mittlerer Wert in % p.a.
BIP
in Mrd. €
1.984,3 3.688,6 1,3
Produktivität 
€ in Std.
35,5 87,6 1,9
Arbeitsvolumen
in Mio  Std.
55.881 41.861 -0,6
Erwerbstätige
in Tsd
38.688 28.981 -0,6
BIP = Sozialprodukt   =  reales Bruttoinlandsprodukt
Produktivität    =  BIP je geleisteter Beschäftigungsstunde  (volkswirtschaftliches Arbeitsvolumen)
Arbeitsvolumen  =  mittlere effektive Jahresarbeitszeit pro Erwerbstätigen multipliziert mit Zahl der Erwerbstätigen, also alle geleisteten Arbeitsstunden pro Jahr
Erwerbstätige  = Arbeiter, Angestellte, Selbständige, mithelfende Familienangehörige im Inland

Quelle: StatBuA; ESVG; eig. Berechungen
 

(o)   Für die sich daraus ergebende Nachfrage nach Erwerbstätigen ist zuletzt eine Annahme über die Entwicklung der Arbeitszeit pro Kopf zu machen. Wir unterstellen eine Veränderung von Null, da diese Größe stark politisch beeinflusst ist (Tarifparteien und Gesetzgeber) und sich deshalb jeder Art der Langfrist-Prognostizierung entzieht. In diesem Fall entwickelt sich die Anzahl der Erwerbstätigen parallel zum Arbeitsvolumen. Der Index sinkt ebenfalls auf 74,9, es werden - trotz steigenden Sozialprodukts - insgesamt 25,1 % Erwerbstätige weniger benötigt (job-loss growth). Wurden 2002 noch 38,7 Millionen Erwerbstätige beschäftigt, so werden es 2050 somit nur noch 29 Millionen sein - ein Wegfall von weiteren 9,7 Millionen Beschäftigten. (Und dies ungeachtet der im Ausgangsjahr bereits vorhanden Überkapazität von 6,6 Millionen.)

 

(3)   Die Trendverläufe beim Angebot von Arbeit

Ein ganz allgemeiner Einstieg in die Berechnung des Angebots an Arbeitskräften wäre die Bevölkerungsgröße. Im ersten Schritt werden üblicherweise die Kinder und die Älteren ab 65 Jahren herausgerechnet, um die Personen im Erwerbsalter zu erhalten. Weitere Differenzierungen im Arbeitsmarktzusammenhang sind dann vor allem die Arbeitslosen und die stille Reserve. Von besonderem Interesse, jedoch schwierig bis unmöglich zu realisieren, wäre eine Vorausberechnung dieser letztgenannten beiden Größen. Schon deshalb haben wir uns dazu entschlossen, stattdessen die Kennziffer des "Beschäftigungsgrades" zu benutzen. Es gibt jedoch noch einen weiteren, wichtigeren Grund.

Den Beschäftigungsgrad grenzen wir ab als Erwerbstätige im Verhältnis zur Bevölkerung. Damit erhalten wir eine Kennziffer für den Anteil der Bevölkerung, der produktiv tätig ist. Dass die Erwerbstätigen für ihre Arbeit den vorhandenen Kapitalstock (Fabriken, Fließbänder, Computer) zu Hilfe nehmen, ist selbstverständlich. Aus dieser produktiv tätigen Erwerbsarbeit werden aber nicht nur Arbeitslose und die Stille Reserve finanziert. Es werden auch  Sozialhilfeempfänger, beschäftigungslose Zuwanderer, Kranke, Kinder, Alte, Rentiers finanziert. Ganz allgemein: Es werden alle Nichtbeschäftigten aus Arbeit getragen - auch Zinserlöse werden aus dem Sozialprodukt gezahlt.

Zu diesem Zusammenhang die folgende >>Grafik, die diese Last anschaulich verdeutlicht; (die BA hat dieser Grafik allerdings nur die Sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten zugrunde gelegt; wir berechnen diese Zusammenhänge auf der Basis aller Erwerbstätigen, weil auch andere als Sozialversicherungspflichtige das Sozialprodukt erwirtschaften).   

Die Bevölkerung wird regelmäßig vom Statistischen Bundesamt vorausberechnet. Die 10. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung ist im Juni 2003 erschienen. Der speziell interessierte Leser möge sich dort mit den Annahmen näher vertraut machen (Entwicklung der Geburtenhäufigkeit, Lebenserwartung usw.). Für unser Erkenntnisziel stehen die Annahmen über die Entwicklung der Außenwanderungen (= Ein- und Auswanderung) im Vordergrund des Interesses.

Das Statistische Bundesamt hierzu: "Für die künftige Bevölkerungszahl und die Altersstruktur ist dabei der Wanderungssaldo, d.h. die Differenz Zwischen Zu- und Fortzügen, ausschlaggebend. ... Der Saldo hängt auf der einen Seite vom Migrationspotenzial in Folge politischer, wirtschaftlicher, demographischer oder auch der ökologischen Entwicklungen in den Herkunftsländern ab. Auf der anderen Seite wird er von der Migrationpolitik in Deutschland, der Situation auf dem deutschen Arbeitsmarkt sowie von der wirtschaftlichen und sozialen Attraktivität Deutschlands als Zielland beeinflusst". Auch die Ökologie wird als Grund benannt.

Der Wanderungssaldo setzt sich aus Deutschen (deutschstämmigen) und Nichtdeutschen zusammen; Vorrangig sind dabei die Wanderungen nichtdeutscher Personen. Bei allen Annahmen wird deswegen ein schrittweiser Abbau der Wanderungsüberschüsse von Deutschen auf ein Nullniveau angenommen.

 

Tabelle
Drei Wanderungs-Annahmen
hat das Statistische Bundesamt seiner Vorausberechnung unterlegt
 
  Einwanderung p.a. kumuliert bis 2050 in Mio.
Annahme W1 100.000 5,7
Annahme W2 200.000 10,5
Annahme W3 300.000 14,5

W3 unterstellt 200.000 bis 2010; danach 300.000 Nettoeinwanderung

Quelle:
Statistisches Bundesamt: 10. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung, 2003          MacroAnalyst

 

 

Beachte: Dieser Wanderungssaldo ist ein Nettoergebnis. Dahinter verbergen sich außerordentlich hohe Ströme.
In 2000 z.B. betrug die Nettoeinwanderung = 167.120 Personen; diese setzte sich zusammen aus 841.158 Zuzügen und 674.038 Fortzügen. Die von Deutschland zu bringende Integrationsleistung wird ganz wesentlich von den Zuzügen bestimmt (vgl. dazu Punkt 5 "Qualifikationslücke" und die Folgen für die Bildungsinvestitionen).

Um die Auswirkung dieser Bevölkerungsvorausberechnung auf unsere Arbeitsmarktvorausberechnung deutlich zu machen, können wir uns auf drei von neun durchgerechneten Varianten stützen:
 

Tabelle
Veränderung der Bevölkerung durch Einwanderung
in Mio 2002 2050
Höchste Bevölkerung
Variante 9  -  Einwanderung netto 300.000 p.a.
82,5 81,3
Mittlere Bevölkerung
Variante 5  -  Einwanderung netto 200.000 p.a.
82,5 75,1
Niedrigste Bevölkerung
Variante 1  -  Einwanderung netto 100.000 p.a.
82,5 67,0
Quelle: StatBA - 10. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung, Juni 2003

 

 

Die Höchste Bevölkerung ergibt sich aus einem Einwanderungssaldo von netto 300.000 Personen im Jahr.
Die Bevölkerung geht lediglich auf 81,3 Mio zurück, d.h. um 1,5 %.

Die Mittlere Bevölkerung ergibt sich aus einem Einwanderungssaldo von netto 200.000 Personen im Jahr. Die Bevölkerung geht somit auf 75,1 Mio zurück, d.h. um 9 %.

Die Niedrigste Bevölkerung ergibt sich aus einem Einwanderungssaldo von netto 100.000 Personen im Jahr. Die Bevölkerung geht damit auf 67 Mio zurück, d.h. um 18,8 %.

 

(4)   Das Ergebnis:  Angebot und Nachfrage am Arbeitsmarkt bis 2050

Im Abschnitt "Nachfrage nach Arbeit" hatten wir bereits gesehen, dass in den nächsten 50 Jahren immer weniger Erwerbstätige benötigt werden. Konfrontiert man diesen Trendverlauf bei den Erwerbstätigen mit den Trendverläufen der drei Bevölkerungs-Varianten, so gelangt man zu den vorauszuberechnenden Entwicklungen am Arbeitsmarkt.

(o)   Diese Gegenüberstellung deckt nun Ergebnisse auf, die nur als dramatisch zu bezeichnen sind. Aus der isolierten Analyse von Einzelsegmenten künftiger demografischer Verläufe (z.B. Rentenproblematik) wird immer wieder das Ergebnis der Verknappung des Arbeitsmarktes beschworen. Unsere Analyse ergibt, dass das Gegenteil der Fall ist.

>>Grafik zu den absoluten Verläufen von Bevölkerung und Erwerbstätigen

Diese Grafik zeigt, dass parallel zum Rückgang der Erwerbstätigen alle Bevölkerungsvarianten ebenfalls einen Rückgang aufweisen. Das wirkt - für sich genommen - als Entlastung am Arbeitsmarkt. 

Es kommt nun aber auf die Geschwindigkeit an, mit der diese Kurven sinken, um beurteilen zu können, wie sich der Arbeitsmarkt per Saldo tatsächlich entwickelt. Dies zeigt die Grafik mit den relativen Verläufen dieser Kurven. 

>>Grafik zu den relativen Verläufen von Bevölkerung und Erwerbstätigen

Die Grafik zeigt übersichtlich, dass die Erwerbstätigenkurve schneller sinkt als alle drei Bevölkerungsvarianten. Dies bedeutet, dass der Beschäftigungsgrad in allen drei Vorausberechnungen sinkt. Anders ausgedrückt, bei jeder Wanderungsannahme des Statistischen Bundesamtes kommt es zu einer Verschärfung der heutigen Arbeitsmarksituation.

In der Realität des Jahres 2002 liegt nun der Beschäftigungsgrad mit 46,9 % bereits unterhalb der 50-%-Marke. D. h. der Kehrwert, nämlich der Nicht-Beschäftigungsgrad macht heute bereits mehr als die Hälfte aus; in absoluten Zahlen: 38,7 Mio. Erwerbstätige tragen eine Gesamtbevölkerung von 82,5 Mio. Da es in dieser Analyse um die Einwanderungsfrage geht, also um das Problem, ob in ausreichender Zahl Beschäftigte zur Verfügung stehen, nichterwerbstätige Personengruppierungen zu finanzieren, sollen hier nur die Nicht-Beschäftigungs-Grade präsentiert werden. Diese zeigen also den Anteil, den die Nicht-Beschäftigten an der Bevölkerung ausmachen, m.a.W. die wirtschaftliche Last, die die Erwerbstätigen zu schultern haben.

 

Tabelle
Nicht-Beschäftigungs-Grad steigt bei allen Bevölkerungsvarianten
in Mio

2002

2050
Niedrigste Bevölkerung
Variante 1  -  Einwanderung netto 100.000 p.a.

82,5

67,0

Mittlere Bevölkerung
Variante 5  -  Einwanderung netto 200.000 p.a.

82,5

75,1

Höchste Bevölkerung
Variante 9  -  Einwanderung netto 300.000 p.a.
82,5 81,3
Erwerbstätige 38,7 29,0
in %    

Nicht-Beschäftigungs-Grad
Variante 1    in %

53,1

56,8

Nicht-Beschäftigungs-Grad
Variante 5   in %

53,1

61,4
Nicht-Beschäftigungs-Grad
Variante 9    in %

53,1

64,3
Quelle: StatBA;  eigene Berechnungen                                                                        MacroAnalyst 
 

 

Wegen des überproportionalen Rückgangs der Erwerbstätigen steigt dieser Grad in allen drei Varianten bis 2050 an:
Im ungünstigen Fall, beim Wanderungssaldo von 100.000, auf 56, 8 % der Bevölkerung;
im ungünstigeren Fall, beim Wanderungssaldo von 200.000, auf 61,4 % der Bevölkerung;
im schlimmsten Fall, beim Wanderungssaldo von 300.000, auf 64,3 % der Bevölkerung. In diesem letzteren Fall stünden also, grob gerundet, einem Drittel Erwerbstätiger zwei Drittel Nicht-Beschäftigter gegenüber. (Es lässt sich wegen des 50-Jahres-Unterschieds nicht vergleichen, ist aber als Größenordnung doch illustrativ: In Deutschland würde dann in 50 Jahren ein Nicht-Beschäftigungsgrad vorliegen, den die USA Anfang 2001 als Beschäftigungsgrad ausgewiesen haben).

>>Grafik zum Nicht-Beschäftigungsgrad

(o)   Die von den Erwerbstätigen zu schulternde wirtschaftliche Gesamtlast lässt sich auch anders ausdrücken: Im Jahre 2002 mussten 38,7 Mio. Erwerbstätige die Finanzierung der Gesamtbevölkerung, also 82,5 Mio., sicherstellen. 100 Erwerbstätige hatten also 213 Personen zu tragen.
2050 würde die Last
bei einer Einwanderung von 100.000 p .a. bei 231 Personen,
bei einer Einwanderung von 200.000 p. a. bei 259 Personen,
bei einer Einwanderung von 300.000 p. a. bei 280 Personen liegen.

>>Grafik zur Nichtbeschäftigten-Last

Die Lasten-Grafik der BA hat das plastisch verdeutlicht: Der gelbe Kern schrumpft schneller als der blaue Mantel. Das Verhältnis von blauer zu gelber Fläche vergrößert sich durch Einwanderung drastisch.

Die Vorausberechnung von Angebot und Nachfrage ergibt, dass die Einwanderung - eigentlich zur wirtschaftlichen Entlastung gedacht - selbst zur wirtschaftlichen Last wird. Vorausberechnet kann allerdings nicht werden, wieviele der Einwanderer/Inländer dann in der Rubrik "Erwerbstätige" und wieviele in der Rubrik "Nicht-Beschäftigte" geführt werden müssen. Die Einzelnen in der Gesamtlast haben keine Nationalität per se. Die Vergangenheit jedoch hat bereits schlechte Erfahrungen gezeitigt.

 

Kasten:

Exkurs
Zum Verhältnis von Arbeitsmarkt- zu Beschäftigungspolitik


Unsere Analyse der Beschäftigungsentwicklung macht das ganze Dilemma sichtbar, vor dem Beschäftigungspolitik heute steht. Die Politik konzentriert sich vornehmlich  auf das Funktionieren des Arbeitsmarkts. Lediglich "Arbeitsmarkt"politik ist anvisiert. Regulierungen sollen abgebaut werden, um den Arbeitsmarkt flexibler zu gestalten.

Die zentrale Frage der Produktivitätsüberschüsse wird nicht diskutiert. Beschäftigungspolitik aber müsste hier ihren Ausgang nehmen.

Keine Frage: Arbeitsmarktpolitik ist ein wichtiges Feld. Alle unproduktiven Verkrustungen müssen beseitigt werden, um den Markt effizienter zu machen. Das ist aber nur das Minimum, sozusagen der Einstieg. Die Millionen von Arbeitsplätzen jedenfalls, die benötigt werden, sind auf diesem Wege nicht zu schaffen.

Isolierte Arbeitsmarktpolitik steht vor dem Dilemma, wie der Hase im Märchen vom "Haas und dem Swinegel". Wann immer eine weitere Runde gedreht worden ist, wird am Ende der Strecke die Bundesanstalt für Arbeit mit einem Monatsbericht über ein weiterhin hohes Maß an Arbeitslosigkeit stehen und rufen: "Ick bün all hier".

                                                                                                                                   

                                                                                                                                     
                                                                                                                                            MacroAnalyst
 

 

(5) Erste zusätzliche Komplikation: Die Qualifikationslücke

Der deutsche Arbeitsmarkt hat jedoch nicht nur das Problem, Einwanderung quantitativ zu absorbieren. Auch qualitativ liegen die Barrieren hoch.

Deutschland ist ein Land ohne nennenswerte Rohstoffe. Der Wohlstand wird dadurch generiert, dass es diese Ressourcen importiert, hier durch hoch- und höchstqualifizierte Arbeitskräfte zu Produkten verarbeitet, die sich am Weltmarkt absetzen lassen.

Bisher hat dieser Prozess hervorragend funktioniert, wie die >>Grafik Exportüberschüsse belegt.

Die Erfolgskette jedoch ist bedroht. Unglücklicherweise erweist sich auch im qualitativen Zusammenhang die Einwanderung nicht als Ent-, sondern als Belastungsfaktor. Der neueste Forschungsstand unterstreicht dies deutlich (vgl. Alexander Reinberg und Markus Hummel: Steuert Deutschland langfristig auf einen Fachkräftemangel zu?  Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit; IAB-Kurzbericht, Nr. 9 Juli 2003 - Volltext abrufbar unter www.iab.de). Die Ergebnisse dieser Arbeit lassen sich bezüglich des Ausschnitts Einwanderung  so zusammenfassen:

1.    Das Humankapital gewinnt am deutschen Hochtechnologie- und Hochlohnstandort zunehmend an Bedeutung. Im internationalen Vergleich haben wir noch recht gute Karten, befinden uns aber auf dem besten Weg, diesen entscheidenden Wettbewerbsvorteil auf das Spiel zu setzen.

2.    Der grundlegende Trend am Arbeitsmarkt: Die Nachfrage des Arbeitsmarktes für Qualifizierte wächst, für Gering- oder gar Unqualifizierte wird sie immer geringer. Alle aktuellen Bedarfsprojektionen sind sich darüber einig, dass sich dieser Trend fortsetzen wird.

3.   Gegenläufig dazu müssen wir nun jedoch registrieren, dass seit Beginn der 90er Jahre die Bildungsexpansion in weiten Teilen zur Bildungsstagnation mutierte. Dafür gibt es eine Reihe allgemeiner Einflüsse, die mit dem Thema Einwanderung nichts zu tun haben. Für unseren Ausschnitt jedoch bedeutsam: Seither besitzt ein Drittel der in Westdeutschland lebenden Bevölkerung (im erwerbsfähigen Alter 15 - 65) keinen Berufsabschluss mehr.

4.   Eine maßgebliche Ursache dafür sind die "Zuwanderungswellen der jüngeren Vergangenheit". Konstatiert wird "eine relativ schlechte Qualifikationsstruktur der bereits in Deutschland lebenden erwachsenen Einwanderer, ein unbefriedigendes Ausbildungsniveau ihrer Kinder - selbst dann, wenn sie bereits in Deutschland geboren sind". Das führt dazu, dass "der Ungelerntenanteil bei Ausländern extrem hoch ist". Das IAB gibt dazu an, Deutsche stellten 3/4 der Bevölkerung ohne Berufsabschluss; Zuwanderer stellten also 1/4.  Dies wiederum bedeutet: Ausländer im erwerbsfähigen Alter stellen zwar nur 10,1 % der erwerbsfähigen Bevölkerung (2001), aber 25 % der Bevölkerung ohne Berufsabschluss.

Das IAB untermauert damit, dass sich Zuwanderung wesentlich aus einem Qualifikationspotential rekrutiert, das für den Exportstandort Deutschland nicht benötigt wird. Es bindet jedoch erhebliche Investitionsmittel im Bildungssektor, die für wirtschaftlich unabdingbare Qualifizierungsinvestitionen dann nicht mehr zur Verfügung stehen. Die Optimierung des volkswirtschaftlichen Bildungsbudgets gerät mehr und mehr aus dem Blick. Diese Integrationslast wiegt schwer für die Entfaltung künftiger Qualifikation, Innovation und Produktivität.

 

 

(6)   Zweite zusätzliche Komplikation: Die Verlängerung der Arbeitszeit

Man sollte denken, dass alle politische Kraft zunächst darauf konzentriert würde, die schon vorhandenen überschüssigen Arbeitsreserven im eigenen Land zu nutzen, bevor man darüber nachdenkt, wieviel Einwanderung gebraucht wird. Jeder Unternehmer nutzt zuerst die bereits vorhandenen Kapazitäten, bevor er in deren Aufstockung investiert. 

Das gleiche gilt für die derzeit mit Heftigkeit entbrannte Debatte über Arbeitszeitverlängerungen. Die Arbeitsmarktanalyse hat gezeigt, mit welcher Geschwindigkeit die Beschäftigungsstunden in der Vergangenheit abgebaut wurden - und in der Zukunft abgebaut werden. Eine Verlängerung der Arbeitszeit führt zur zusätzlichen Ausweitung des Arbeitsstundenangebots, für das schon heute keine Nachfrage vorhanden ist. Und es geht dabei um beträchtliche Größenordnungen:

Eine Verlängerung der Wochenarbeitszeit von 35 Std.-Woche auf wieder 40 Stunden erhöht das Arbeitsvolumen der Betroffenen um 14,3 %.
Bei Anhebung der Lebensarbeitszeit (Renteneintrittsalter von 65 auf 67) liegt die Vergrößerung des Arbeitsvolumens in einer Größenordnung von über 5 %.
Allein diese beiden Maßnahmen würden das Segment der Nicht-Beschäftigten um weitere Millionen erhöhen.

Auf demographischer Basis werden bei dieser Diskussion Schlussfolgerungen gezogen, ohne die ökonomische Unterfütterung der Demographie zu prüfen.

Demographie ist aber nicht gleich Ökonomie.

Zwiespältig ist deshalb die Kernforderung der Rürup-Kommission nach dem Renteneintrittsalter mit  67 Jahren (inzwischen unterstützt von der Herzog-Kommission).  Aus dem Einzelsystem "Rentenproblematik" heraus mag dies eine sinnvolle Forderung sein. Aus dem Gesamtsystem heraus beurteilt ist sie es nicht, auch nicht im Jahre 2011. Bis 2050 ist sie vielmehr für den gesamten Arbeitsmarkt kontraproduktiv. Für das Rentensystem mag dies eine Lösung sein; Kommissionen, die die Nachhaltigkeit anderer Subsysteme werden prüfen müssen, werden dafür auf einen zusätzlichen Problemschub stoßen.  

 

Kasten:
Der Unterschied zur Rürup-Kommission ...
 

..... wird an dieser Stelle deutlich.

Zwar trägt sie vor, "auf der Grundlage von bereits heute erkennbaren Trends könnten Wirkungszusammenhänge abgebildet werden", aus denen sich diese plausiblen Entwicklungszusammenhänge ableiten ließen (S. 51). Tatsache ist jedoch, dass solche erkennbaren Trends im Gutachten nicht analysiert worden sind. Vergeblich sucht man die Statistiken, die diese Trends belegen. Aus dem Gutachten ist nicht ersichtlich, auf welche Datenreihen sich die Annahmen über das Wachstum des Sozialprodukts, der Produktivität, der Beschäftigung stützen.

Schlimmer noch: Der im Mittelpunkt stehende Befund für unseren Forschungsgegenstand sind die Produktivitätsüberschüsse der Vergangenheit und die Wucht der damit einhergegangenen Verluste beim volkswirtschaftlichen Arbeitsvolumen. Dieser Befund ist für alle Ergebnisse der Rürup-Kommission von gleicher Bedeutung. Er fehlt jedoch in deren Gutachten nicht nur für die Vergangenheit, er tritt auch im Zukunftsszenario nicht in Erscheinung. Worauf aber stützen sich dann die Einzelergebnisse?

Es führt ja nicht weiter, wenn Rürup für sich in Anspruch nimmt, das Szenario stelle einen "in sich konsistenten und plausiblen Entwicklungspfad dar"; es sei "ein weder optimistisches noch pessimistisches Szenario" entwickelt worden (S. 64). Das ist, weil nicht aus empirischen Verläufen der Vergangenheit, also aus Fakten, abgeleitet, eine lediglich subjektive Feststellung. Die Annahmen sind somit beliebig variierbar. Darauf kann die Politik nicht bauen.

Die Ergebnisse belegen dann leider auch, auf welch brüchigem Fundament das Gutachten ruht. Weil der Befund der seit langem existierenden Produktivitätsüberschüsse ignoriert wurde, ist die Vorausberechnung des Arbeitsmarktes in Schieflage geraten. Es ist allein diese Grundlage, auf der sich dann die Zahl der Erwerbstätigen für 2030 mit 37,8 Mio. schätzen lässt (S. 62). Unter Berücksichtigung der langjährigen Produktivitätsüberschüsse hingegen ergibt die Vorausrechnung lediglich 32,7 Mio. für dieses Jahr. Das ist schon vor Ende des Prognosezeitraumes eine Differenz von 5,1 Millionen Erwerbstätigen. Diese subjektive Basis führt dann zu der optimistischen Gesamtwertung: "Damit wird in diesem Szenario unterstellt, dass die derzeit vorherrschenden strukturellen Probleme am Arbeitsmarkt langfristig zu einem guten Teil gelöst werden" (S. 62-63).

 

Quelle:
Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung; Nachhaltigkeit in der Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme; Berlin, August 2003   (Rürup-Kommission).                 
                                                                                                                                      MacroAnalyst

(Dieser Abschnitt ist kein abschließender Beitrag zur derzeit geführten Debatte einer generellen Verlängerung der Arbeitszeit. Dazu müssten wir einen eigenen, differenzierenden Beitrag erarbeiten).

 

 

(IV)  Zwischenfazit:   

Der deutsche Arbeitsmarkt wird in den nächsten Jahrzehnten in schweres Fahrwasser geraten. Jahr für Jahr benötigt die Volkswirtschaft weniger Beschäftigungsstunden. Die Zahl der nachgefragten Erwerbstätigen wird deswegen schneller sinken, als die Bevölkerung dies tun wird.

Wird in dieser  Situation zusätzlich auf Einwanderung gesetzt, muss sich die Lage am Arbeitsmarkt weiter verschärfen.
Schon heute verfügen wir nicht nur über eine Überkapazität von 6,6 Mio. Arbeitskräften.
Schon heute müssen wir mehr Nicht-Beschäftigte als Beschäftigte registrieren.
Je mehr Einwanderung zugelassen wird, um so höher wird der Grad der Nicht-Beschäftigung steigen.

Der deutsche Arbeitsmarkt hat jedoch nicht nur das Problem, Zuwanderung quantitativ zu absorbieren. Auch qualitativ liegen die Barrieren hoch. Zuwanderung rekrutiert sich  wesentlich aus einem Qualifikationspotential, das für den Exportstandort Deutschland nicht benötigt wird. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, benötigt der Standort immer höhere Qualifikation. Auf diesem Gebiet herrscht scharfe internationale Konkurrenz. Über Zuwanderung wird jedoch überwiegend Niedrigqualifikation bereitgestellt. Den Bedarf an diesem Segment kann der Binnenmarkt aber mühelos selbst decken.

Die jetzt vielfach ins Spiel gebrachte Verlängerung der Arbeitszeit würde zu einer zusätzlichen Ausweitung des Arbeitsangebots, für das schon heute keine Nachfrage vorhanden ist, führen.

Das Gesamtergebnis aus dem Teil "Einwanderung und Arbeitsmarkt" könnte so formuliert werden:
Im unteren Qualifikationssegment am Arbeitsmarkt stehen schon heute überreichlich Arbeitskräfte zur Verfügung. Die heutige Zuwanderungsstrategie flutet dieses Segment zusätzlich und trägt andererseits nicht nennenswert dazu bei, die Knappheit im Segment der Hochqualifizierung zu mildern.

Eine volkswirtschaftlichen Konsequenz dieser Strategie hat Milton Friedman, der neoliberale Nobelpreisträger, auf den Punkt gebracht: "You cannot simultaneously have free immigration and a welfare state". Die folgenschwerere Konsequenz sind die genannten Folgen für die Produktivitätsentfaltung und damit für die Wettbewerbsfähigkeit der gesamten Volkswirtschaft.

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